Was ist „Isa und die toten Tiere“ eigentlich?

Diesen Titel habe ich, zugegebenermaßen etwas plakativ, als Überschrift für die Vorstellung meines Promotionsprojektes gewählt. Der Arbeitstitel lautet, etwas unspektakulärer, „Die Bestattung von Tieren. Praktisch-Theologische Perspektiven.“ Der Inhalt ist allerdings der Gleiche. In den Kirchen herrscht Tiervergessenheit. Sie bilden bestenfalls eine Randnotiz. Als „Frauchen“ des besten Hundes der Welt (davon gibt es wahrlich viele), hat mich dieses Thema schon während meines Studiums beschäftigt. Warum ist das eigentlich so? Ist das ein Problem theologischer Natur? Diesen und anderen Fragen gehe ich im Rahmen meiner Doktorarbeit nach und möchte, begleitend dazu, meine Gedanken, meine Widerstände, meine Erkenntnisse und Dinge, die ich gelesen und für spannend befunden habe, hier aufschreiben. Eine Art Forschungstagebuch im Blogformat. Mitdenken und Diskutieren sind ausdrücklich erwünscht!


Der Mensch, das Tier, der Abschied?!

Wer schon einmal längere Zeit in dem Wartezimmer einer Tierklinik verbracht hat, wird wahrscheinlich eine enorme Bandbreite an menschlichen und nichtmenschlichen Emotionen beobachtet haben. Abschiede ebenso wie Dramen ganz eigener Art, Erleichterung, Angst, Verzweiflung, allergrößte Wiedersehensfreude, Hoffnung und Trauer. Meiner Erfahrung nach, als jemand, der auch sehr viel Zeit in menschlichen Wartezimmern verbracht hat, unterscheiden sich diese Emotionen nicht wesentlich voneinander. Diese Emotionen bilden ein Beziehungsgeschehen ab, das es ernst zu nehmen gilt und welches sich besonders in Verlusterfahrungen manifestiert.

Durch die Verschiebung der Altersstrukturen, gerade im nördlichen Europa und der Bundesrepublik, ist der Tod eines companion animals meist der erste Tod mit dem Kinder und Jugendliche konfrontiert werden. Aber auch immer mehr alleinstehende Menschen teilen ihr Leben inzwischen mit Tieren. In Deutschland lebten 2014 bereits in 38% der Haushalte 28,5 Millionen sogenannte „Heimtiere“, davon in 14% der Hund.[1] Im Jahr 2020 stieg die Zahl der Tierhalter:innen auf 47% und bildet damit fast die Hälfte der bundesdeutschen Haushalte.[2] Durch die Pandemie wurden diese Zahlen nochmals erheblich angehoben. Companion animals leben mit ihren Menschen und nicht nur neben ihnen, sie werden vielfach als vollwertige Familienmitglieder betrachtet,[3] besitzen individuelle Eigenheiten, begleiten durch eine lange Zeit im Leben und haben durch das TierSchG auch einen Subjektstatus zuerkannt bekommen. Das Zusammenleben mit Tieren - direkt oder indirekt, die Beziehungen, die daraus erwachen, die Beziehungen zur belebten Umwelt und das damit einhergehende Hinterfragen anthropozentrischer Positionen, erfahren in den letzten Jahren daher auch innerhalb der Wissenschaft ein gewandeltes Verständnis. Dies mag vor allem mit der ökologischen Krise in Zusammenhang stehen aber auch damit, dass sich das soziale, religiöse und kulturelle Leben immer weiter ausdifferenziert.

In der BRD existieren derzeit ca. 200 Tierfriedhöfe, inzwischen sogar Friedhöfe, auf denen Tier und Mensch gemeinsam ihre letzte Ruhestätte finden.[4] Tierbestattungsunternehmen expandieren und sind inzwischen ein ernstzunehmender Akteur auf dem Bestattungsmarkt. Auch Kirchgemeinden betreiben inzwischen Tierfriedhöfe, weil sie deren Bedeutung erkannt haben, vereinzelt sogar Friedhöfe für Mensch und Tier. Allerdings wirken diese kirchlichen Vorstöße zunächst eher zaghaft und suchen augenscheinlich einen Kompromiss zwischen den Wünschen von Tierhalter:innen und dem konsensbildenden Traditionsbestand der kirchlichen Lehre. Hier gilt nach wie vor seelsorgerliche Ernstnahme des Verlustes aber ein etablierter Bestattungsritus für Tiere existiert bislang nicht. ebenso wenig existieren etablierte kirchlichen Praktiken mit und um Tiere. Selbstverständlich gilt dies nicht pauschal, allerdings beschränken sich diese Vorstöße bislang auf Einzelakteure. In der theologischen Forschung sprechen sich im deutschsprachigen Raum inzwischen immer mehr Theologinnen und Theologen für ein gewandeltes Verständnis von Tieren und Menschen auch innerhalb der Theologie aus. Besonders in der katholischen Theologie haben deutlich positionierte Reflexionen über eine christliche Tier-Mensch-Beziehung etabliert, die eine grundsätzliche Neuorientierung fordern. Aber auch auf evangelischer Seite finden sich zunehmend Reflexionen für einen animal turn innerhalb des kirchlichen Lebens. Darüber hinaus existiert in der Schweiz der Arbeitskreis Kirche und Tier, der sich neben vielen anderen Themen auch insbesondere um das Thema der Tierbestattung bemüht und in der Stadt Zürich eine gemeinsame Tier-Mensch-Beisetzung ermöglicht, Tiertrauerfeiern abhält und seelsorgerliche Unterstützung anbietet. Auch in Deutschland existiert ein solcher Verein (AKUT e.V.) mit verschiedenen Regionalgruppen und engagierten Einzelakteur:innen. Ein kirchlicher Bestattungskasus existiert jedoch noch nicht, wenngleich auch eine Broschüre für eine christliche Abschiedsfeier zur Verfügung gestellt wird: „Abschied nehmen. daheim.“[5]

Der Kern der Problematik wird hierbei jedoch besonders sichtbar - Abschied und Trauer von und um Tiere werden stets ins Private verschoben. Tierbestattungen werden von privaten Unternehmen angeboten. Kirchen bieten bestenfalls seelsorgerliche Angebote aber auch hier nur vereinzelt und, wenn es den jeweiligen Akteuren ein Anliegen ist. Dem Öffentlichkeitscharakter der Kirche wird gerade dieses Vorgehen nicht gerecht. Dieses Verschieben in die Individualität thematisieren katholische Theolog:innen 2019 mit ihren Überlegungen zu einer Epistemologie der Theologischen Zoologie im Anthropozän[6]. Auch hier gilt die Maxime der empirisch arbeitenden Naturwissenschaft als Richtschnur, Erfahrungen mit Tieren und ein Interspezies-Beziehungsgeschehen gelten in der Regel als unwissenschaftlich und randständig.

In meinem Forschungsprojekt möchte ich praktisch-theologische Perspektiven für ein hochkomplexes Themenfeld entwickeln, welches bisher eine Leerstelle im praktisch-theologischen Diskurs bildet.

Kirchliche Handlungsfelder für die Bestattungen von companion animals finden in der Kirche noch immer kaum Beachtung ebenso wie andere kirchliche human-animale Handlungsfelder. Bei Gottesdiensten und Kasualien stehen Tiere in der Regel außerhalb der theologischen Reflexion, sind nicht anwesend oder nicht erwünscht. Tiere werden nicht erwähnt oder mitgedacht. Paradox, da doch Tiere in unserem Leben so allgegenwärtig sind. Ob im Sprachgebrauch, als Muster oder Motiv auf Kleidung, als Kuschel- oder Haustier. Sogar in der Bibel tummeln sich die Tiere und das bereits von Anfang an!

Warum also könnte ein Bestattungskasus für Tiere eine Notwendigkeit und weit mehr als eine Anbiederung oder ein Türöffner für eine weitere potentielle kirchliche Klientel sein. Inwieweit lassen sich gesellschaftliche Veränderungsprozesse in der (kirchlichen) Bestattungskultur und die ambivalente Mensch-Tier-Beziehung zusammenbinden. Welche Potentiale bietet die praktisch-theologische Reflexion für die verschiedenen kirchlichen Handlungsfelder. Weiterhin müssen die Faktoren untersucht werden, die die Kirche bisher daran gehindert haben, Tiere in ihre Kasualpraxis zu integrieren. Dabei sollen Entwicklungslinien und theologische Erwägungen der Tier Mensch Beziehung, den Human-Animal-Studies als (noch junger) interdisziplinärer Wissenschaftszweig ebenso wie der Trauer als Tiefendimension und den praktisch-theologischen Erwägungen Beachtung geschenkt werden. Das Hinterfragen des Anthropozän geht mit Begriffsbestimmungen sowie der Reflexion der Vergessenheit der religiösen Erfahrung einher und spielt im Human-Animal-Diskurs eine ganz entscheidende Rolle. Daher ist gerade hier zu überlegen, wie das Anthropozän praktisch-theologisch neu zu durchdenken wäre und welche epistemologischen Neuausrichtungen hierbei tragfähig werden können. Besonders die Human-Animal-Studies ziehen vielfach Vergleiche zu Themen wie Rassismus, Genderstudies und Ableismus, wenn es um die „Figur“ des Fremden geht. Der Status des Tieres soll im praktisch-theologischen Diskurs nichts als abstrakte Differenzrelation[7] bestimmt werden, sondern aus verschiedenen relativen und dynamischen Perspektiven beleuchtet werden, die neue Zugänge zu einer eigenen Kasualpraxis eröffnen sollen. Der dabei aufgeworfene Diskurs soll letztlich auch für die Praxis fruchtbar gemacht werden, in Form von denkbaren Tierbestattungsformaten.

 

[1] Olejnik, Julia Cornelia, ´Tote begraben und Trauernde trösten´ Haustiere in der Sepulkralkultur: Entwicklung und Bedeutung für die Tiermedizin, Göttingen 2016, S. 94.

[2] https://www.zeit.de/news/2021-03/22/eine-million-mehrhaustiere-in-der-pandemie?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (zuletzt abgerufen am 05.07.2022).

[3] Vgl. Schmitt; Marion; Kunzmann, Peter (Hg.),Nicht nur dein Tier stirbt, Geschichten und Forschung zur Trauer um Haustiere, Ilmenau 2020, S. 9; Haustiere sind hier sogenannten companion animals, Tiere, die lediglich um ihrer Selbstwillen gehalten werden.

[4] Vgl. der gemeinsame Tier-Mensch-Friedhof „Unser Hafen“ https://unser-hafen.de/ (zuletzt abgerufen am 06.07.2022)

[5] Arbeitskreis Kirche und Tier in der Schweiz: https://arbeitskreis-kirche-und-tiere.ch/unterlagen/trauer-um-tiergefährten (zuletzt abgerufen am 27.06.2023.)

[6] Horstmann, Simone; Hagencord, Rainer, Malum anthropogenum? Überlegungen zu einer Epistemologie der Theologischen Zoologie im Anthropozän, MThZ 70 (2019) 291–304.

[7] Vgl. Wiedemann, Rainer, Die Fremdheit der Tiere. Zum Wandel der Ambivalenz von Mensch-Tier-Beziehungen, in: Münch, Paul, Tiere und Menschen, Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn 1998.